18. Februar 2023: Der Wecker meiner Uhr klingelt um 03.00 - ich warte noch auf einen Wetterbericht per Satellit, der Wind rüttelt draußen an meinem Zelt. Es stürmt. Gegen 3:34 Uhr kommt dann der Bericht, der Sturm soll so ab 9 Uhr nachlassen, dann sind es nur noch 20km/h Wind. Als ich das Zelt verlasse, verschluckt mich die stürmische Dunkelheit.
Der feine Schnee, der auf mich prallt, fühlt sich an, als würde mir eine Nähmaschine übers Gesicht fahren. Wie kalt genau es ist, weiß ich nicht, ich habe extra darum gebeten, dieses Detail nicht über den Wetterbericht zu bekommen. Das hilft, mit diesen extremen Bedingungen klarzukommen und wenn ich ehrlich bin, ist die Temperatur an sich irrelevant, was zählt, ist der Wind, wenn der niedrig genug ist, könnte es heute mit dem Gipfel klappen.
Abgelegenste Wildnis
Vor 10 Tagen hat mich ein kleines Flugzeug mehr als 25km von hier entfernt auf dem Gletscher rausgelassen. Seitdem habe ich keine Menschenseele gesehen, nicht einmal einen Vogel. Der arktische Winter ist unerbittlich, davor hatten mich auch die Ranger des Nationalparks gewarnt. Es gibt keine Rettung, denn die Flugzeuge dafür sind im Winter nicht vor Ort und selbst wenn mich das Flugzeug abholen kommen würde, mit dem ich hier gelandet bin, kann es bis zu zwei Wochen lang so schlechtes Wetter geben, dass es nicht landen kann.
Für diesen Fall habe ich am Landeplatz Essen und Brennstoff tief im Schnee vergraben, denn mittlerweile haben die riesigen Raben, die man hier sonst so sieht, gelernt, dass eine Markierungsstange Essen bedeuten kann und angefangen bis zu einem Meter tief zu graben.
Von diesem Punkt an habe ich dann meinen 64 Kilo schweren Schlitten durch den Pulverschnee gezogen, dabei kommen Ski zum Einsatz, die ich mit einer alten Silvretta Bindung versehen habe, damit ich meine 8000er-Bergstiefel auf ihnen festklemmen kann, ein normaler Skischuh wäre bei den niedrigen Temperaturen undenkbar.
Durch die Ski verteilt sich mein Gewicht besser und ich minimiere das Risiko in eine Gletscherspalte zu fallen, eines der größten Risiken für mich als solo Bergsteiger. Sollte ich dennoch in eine Spalte fallen habe ich mir ein Set aus zwei Eisschrauben zusammengebaut. Mit diesem Set kann ich mich dann an einer Schraube hochziehen und dann die nächste darüber platzieren, um dann an ihr zu ziehen und so weiter. Allerdings ist das nur ein Backup für den absoluten Notfall, ich bin hier wirklich auf mich gestellt, allein, in der Wildnis - Genauso wie ich es mag.
Erstbegehung dieser Route im Winter
Mein Ziel heute ist das Messner Couoloir. Es ist eine schöne Linie, die man vom vorletzten Camp auf 14.000 Fuß (ca. 4.267 Meter) aus sehen kann und wurde noch nie im Winter durchstiegen. Genau das macht einen Teil der Faszination aus, das Unbekannte, das dort lauert, nicht zu wissen, ob es überhaupt möglich ist. Es gibt für gewöhnlich gute Gründe, warum etwas noch nicht getan wurde.
Jetzt befinde ich mich im unteren Teil des Couloirs - es ist vom Sturm vereist, der Schnee wurde komplett weggeblasen und lies nur hartes blauweiß zurück. Zum Glück muss ich keine Spurarbeit leisten, aber dafür ist es kräftezehrend meine ultraleichten Carbonpickel (die sich wärmer als Alupickel anfühlen) in das harte Eis zu schlagen. Zwischendrin kommen Schneebrücken, die behutsames Vorgehen und einen zickzack Kurs fordern.
Dann erreiche ich die Stelle, an der der Fels die Form einer mit Schnee gefüllten Sanduhr hat. Von hier an geht es weiter im Firn und Bruchharsch, erschwert wird das ganze durch ca. 10 m2 große Schneebretter, die auf einer Alt-Schneeschicht liegen und abbrechen können. Im Büro der Ranger wurde ich gewarnt, dass ein erfahrener Solobergsteiger ums Leben kam, als er sich die guten Aufstiegseigenschaften des komprimierten Schnees dieser Bretter zunutze machte und sich ein solches Brett löste als er darauf war und ihn mit in die Tiefe riss. Ich umgehe die Bretter also und schlängele mich den Berg hoch.
Als ich das Ende des Messner Couloirs erreiche ist es schon wieder dunkel, die Tage des Polarwinters sind nur sehr kurz und oft gibt es nur eine lange Dämmerungsphase. Im Dunklen taste ich mich vor und navigiere primär mit dem GPS meiner Uhr - zuvor habe ich mir die GPX Dateien der Normalroute heruntergeladen und nun treffe ich auf Sie. Kurze Zeit später sehe ich einige Markierungsfähnchen, oder besser gesagt die Fetzen, die die Winterstürme von ihnen übriggelassen haben.
Minus 70 Grad und Neumond
Die Spur der Normalsaison wurde von Wind und Wetter ins Eis gemeißelt. Ich folge ihr auf einem Grat immer weiter hinauf, bis ich plötzlich an einer Spitze angekommen bin. Doch irgendwas stimmt nicht, mein GPS zeigt an, dass ich vom Weg abgekommen bin und die Höhe ist auch zu niedrig.
Während dem Piloten-Team aus Talkeetna, dem Dorf von dem ich zum Berg geflogen bin, schon klar ist, dass ich 'nen kleinen Abstecher zum Archdeacon Tower gemacht habe, bin ich noch am Navigieren. Um visuelle Referenzen zu bekommen, setze ich mich auf den Gipfel und schalte die Stirnlampe aus. Da es Neumond ist und zudem noch Wolken am Himmel sind, starre ich nun in den pechschwarzen Himmel, bis ich nach etwa 40 min Umrisse der Umgebung erkennen kann. Da ist noch was größeres, höheres, das dort lauert.
Ich steige ab, bis ich auf eine weitere Spur aus dem Sommer treffe. Ich bin auf dem sogenannten Football Field, einem riesigen weiten und flachen Gelände, auf dem man sich leicht verlaufen kann. Im Anschluss geht es wieder Bergauf, ein gutes Zeichen denke ich, bis ich die letzten Meter auf den Grat hinauf gehe, dort tost der Wind.
Ich schleppe mich so schnell, ich kann den Grat entlang zum Gipfel, die Böen zwingen mich regelmäßig auf die Knie, wo ich beide Eisäxte in den Schnee kralle. Jeder kleine Turm auf dem Grat wirkt wie der Gipfel, aber mein GPS schickt mich weiter und weiter in die Dunkelheit, bis meine Uhr endlich vibriert und die Ankunft verkündet. Sicherheitshalber checke ich nochmal kurz, ob ich wirklich am höchsten Punkt bin, wäre ja ärgerlich, wenn ich nochmal herkommen müsste, nur wegen ein paar Metern.
Dann geht alles blitzschnell - ich hole meinen Satelliten Tracker raus und sende meine Koordinaten per Nachricht nach Hause. Es ist so kalt, dass mir die Augen zufrieren. Die Hand, die für die Bedienung benutzt habe, ist in dieser 4 Minuten Pause taub geworden. Schnell sprinte ich den Berg herunter und hoffe, dass ich mir keine Erfrierungen an den Fingern geholt habe, sie können den Abstieg gefährden. Meine Füße sind taub, mein Körper wie Holz.
Ich steige noch weiter durch die Dunkelheit meinem GPS folgend auf einer Route herunter, auf der ich nie zuvor war. Das Blaueis am Messner Couloir ist bei diesem Sturm zu riskant. Es gibt 55 km/h konstanten Wind und minus 45 Grad, mit Windchill Effekt gleicht das minus 70 Grad. Als das GPS durch die tiefen Temperaturen schließlich versagt, improvisiere ich, bis ich schließlich nach 35,5 Stunden wieder an meinem Zelt ankomme.
Der Gipfel ist erst die Halbe Strecke
Und hier ist die Expedition noch nicht vorbei, ich muss noch 25 Kilometer zurücklegen, mit all der Ausrüstung einem Sturm ausweichen, Schneehöhlen graben und schließlich fast eine Woche auf das Flugzeug warten, das mich abholen soll.
Damit das Flugzeug landen kann, muss ich mit meinen Ski eine 2.700 m2 große Landebahn komprimieren, da die Ski Kufen der Maschine sonst im Tiefschnee versacken. Also 'ne Menge hin und her laufen biss eine 150 m lange Startbahn und 50 m lange Landebahn mit Kurve fertiggestellt sind.
Gut, dass ich das nicht vorher wusste, das war nämlich ganz schön hart ;)
Hier geht es zur Podcast Episode:
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